Wir brauchen die Agrarwende! (Reaktion auf Artikel und Leserbriefe in der hiesigen Presse)

Lebensmittel kann man auch ökologisch produzieren. Auf den von uns bewirtschafteten Weiden verwenden wir keinen Dünger, keine Gülle, keine Fungizide, keine Insektizide und keine Herbizide. Wir bewirtschaften überwiegend im sogenannten „Blümchenprogramm“ mit bis zu 8 Kennarten. Das sind Pflanzen, die auf gedüngten, gegüllten oder mit Deutschem Weidelgras eingesäten Wiesen kaum mehr zu finden sind. Wir füttern im Winter bei Bedarf Heu und keine in ellenlanges Plastik eingewickelte Silage, deren Folie wir in der Natur ständig wiederfinden. Wir sind dennoch nicht „Bio“, weil wir nicht zertifiziert sind. Wir können uns schlicht die teuren Biokontrollen nicht leisten. Hier spielt der Verbraucher eine Rolle. Wenn Schweinefleisch für teilweise 2.99 € das Kilo in der Kühltheke liegt, dann setzt das Maßstäbe. Wir halten historische, vom Aussterben bedrohte Schafrassen: Skudden und Weiße Gehörnte Heidschnucken in Herdbuchzucht. Sie sind deutlich kleiner, als die modernen Wirtschaftsrassen bzw. Gebrauchskreuzungen. Dafür kommen sie eben mit mageren, nicht gedüngten Standorten bestens zurecht. Das Fleisch auf diesen extensiven Biotopwiesen wächst langsam heran – nicht hochgepuscht in Mastställen. Nur Abnehmer… finden sich dafür nicht. Wir könnten mehr Wiesen bewirtschaften, mehr Schafe halten… doch scheitern wir an der Nachfrage. Wenn wir auswärts essen gehen und Lamm steht auf der Karte, frage ich nach woher es denn stammt. Selbst in einem „Echt“ zertifizierten Lokal konnte man mir das nicht sagen. Was in den Kühltheken halb um die Welt gereist als meist gefrorene Ware liegt, diktiert die Preise (ich empfehle den Film: „Schäferei in Not“ dazu). Diese Preise kann kein deutscher Schäfer erwirtschaften. Nur schmecken… man muss den Unterschied mal probiert haben.

Dass wir dennoch etliche ha bewirtschaften, lag bislang an den Förderungen, die den Verlust im Rahmen hielten. Nun darf man sich da nicht exorbitante Beträge vorstellen. Im Vergleich zum hochproduktiven Acker ist der Politik das CO2 speichernde artenreiche Grünland bislang wenig wert. Wenn die Förderungen indes weiter gekürzt werden, frage ich mich nicht nur, wer diesen Kraftakt im Steilhang und bei widrigen Wetterverhältnissen eines Tages fortführen wird. Wir Schäfer brauchen die Agrarwende dringend. Wir brauchen zusätzlich den verantwortungsvollen Verbraucher! Wer 365 Tage im Jahr in der Tierhaltung arbeitet, der darf nicht draufzahlen und nur mit Worten Anerkennung bekommen. Sonst sehen wir dem Untergang der Schäferei weiter tatenlos zu und schieben den schwarzen Peter an den Wolf.

Kuckuckslichtnelken, Harzer Labkraut, Orchideen (wir beweiden sogar zwei Magerrasen im Nachbarlandkreis Göttingen, weil es dort vor Ort keine Tierhalter für diese Flächenmehr gibt – 9 verschiedene Orchideenarten drohen hier sonst verloren zu gehen) und unzählige, teils sehr seltene Tierarten begegnen uns in unserer täglichen Arbeit auf den Weiden. Insekten- und Vogelsterben? Nicht auf von Schäfern bewirtschafteten Flächen. Man muss das erlebt haben um es zu verstehen!

Die Schäfer der Region – Naturschützer per exellence – haben aber noch andere, EU- gemachte Probleme: Der Zusammenbruch der Hausschlachtung aufgrund gesetzlicher Vorgaben, wird manch einem bewusst sein. Doch auch die gewerblichen Schlachter benötigen eine extra Zulassung für jede Tierart. Ein Schaf… macht die gleiche Mühe bei weniger Fleisch-„Ausbeute“ als ein Rind oder ein Schwein. Bei zusätzlich schwierigen Personalständen fiel in den letzten Jahren das Schaf einfach weg. So manch ein schafhaltender Betrieb fährt seine Tiere mittlerweile zur Schlachtung ganz bis Hannover. Wollen wir Verbraucher das? Wollen wir solch aus der Not erzwungenen Tiertransporte? Unsere Familie nicht! So dass wir unsere Tiere in mehreren, teils mit Wartezeit belegten Chargen, zum regionalen Schlachter fahren. Wir begleiten unsere Tiere bis zum Schluss. Der Verbraucher hat es hier entscheidend mit in der Hand. Fragen Sie Lamm bei Ihrem Metzger nach! Und fragen Sie nach woher das Lammfleisch kommt. Regional… heißt nicht Fleisch aus den großen Oldenburger Schlachtbetrieben vor Ort in Wurst zu pressen! Regional sollte heißen: Das Tier hat hier gegrast!

Ein „Bio“ Schäfer aus Südniederachsen exportiert seine Lämmer (rund 400 Stück pro Jahr) nach Frankreich. Dort wird das Fleisch geschätzt. Hier leider (noch) nicht. Bei uns diktiert bislang allein der Preis die Nachfrage. Wenn das Lammfleisch um die halbe Welt gereist, gefroren im Angebot in der Tiefkühltruhe der Supermärkte liegt… dann kauft der Verbraucher. Schauen Sie, als Verbraucher, sich fast einjährige Lämmer mal vor Ort beim Schäfer an und vergleichen Sie mal die Größe… und dann überlegen Sie mal warum das riesige „Lamm“- Kotelett nach Schaf schmeckt und sie „Lamm“ vermeintlich nicht mögen. Echtes Lamm… schmilzt fast im Mund und „schafelt“ nicht. Es ist ein ¾ bis maximal 1 Jahr über Weiden gesprungen, hat gespielt und seine Rangordnung mit seinen Artgenossen gefunden und verteidigt, hat Gemeinschaft genossen und gekuschelt, hat Kräuter und Büsche gefressen, Wind und Wetter erlebt. Schauen Sie mal auf die Seite des Vereins Slow Food. Und verstehen Sie Unser aller Essen nicht nur als etwas satt machendes, mit Geschmacksverstärkern und –korrigentien auf den allgemeinen Geschmack getrimmte Nahrung. Auch wenn Sie sich nicht jeden Tag das Besondere leisten können – wir auch nicht – setzen Sie mit ihrem Kaufverhalten Impulse.

Sie erhalten damit nicht nur bäuerliche Kleinwirtschaft – ob mit Schafen, Rindern oder anderen Weidetieren – sondern auch Ihre Umwelt. Wir Weidetierhalter der Region produzieren Lebensmittel und erhalten Landschaft und Artenreichtum. SIE entscheiden sich für Ihre Region oder dagegen.

Sabine Zwolinski

Nebenerwerbslandwirtin in Sievershausen/Solling

Bild: Allein dieser minimale Ausschnitt aus einer von uns bewirtschafteten Weide zeigt 4 Kennarten: Scharfer Hahnenfuß, Schafgarbe, kleine gelbe Kleearten (bereits im Samenstadium), Ruchgras. Die hübsche Rundblättrige Glockenblume ist übrigens keine Kennart, erfreut aber zusätzlich das Auge. Man wird es sich vorstellen können… diese Weide kommt auf ihrer gesamten Fläche sogar auf über 8 Kennarten. Es summt, brummt, flattert…

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